|
Für das Forschungsprojekt "100 Jahre Bauen für Neukölln - eine kommunale Baugeschichte"
bin ich auf der Suche nach Unterlagen über ehemalige Mitarbeiter des Rixdorfer/Neuköllner
Stadtbauamts, wie den Architekten und Baukeramiker John Martens (geb. in Libau/Russland
1875 - verstorben in Rustow, Krs. Demmin 1936). Für zwei geplante Publikationen: I.) „Monographie
über den vergessenen Architekten John Martens" und II.) „100 Jahre Rathaus Neukölln -
ein moderner Rathausbau im Vergleich", versuche ich die noch bestehenden Lücken in den
Biographien unserer ehemaligen Hochbauamtsmitarbeiter zu schließen und besonders die baukünstlerischen
Tätigkeit des vergessenen Architekten John Martens zu erforschen. Der aus dem kurländischen Liebau
(jetzt Liepaja/Lettland) gebürtige John Martens besuchte, nach seinem Schulabschluss am Kaiserlich
russischen Gymnasium in Libau, Gouvernement Kurland/Kaiserreich Russland, die Vorschule des Rigaer
Polytechnikum und studierte an der TH Stuttgart Architektur. Danach holte ihn der Architekt Bruno
Möhring als Leiter in sein Berliner Architekturbüro. Im Büro Möhring freundete sich John Martens mit
dem jungen Bruno Taut an. Auf Initiative von Bruno Möhring und John Martens wurde der bislang
unerforschte Künstler- und Literatenkreis in Chorin/Mark Brandenburg (Mitglieder: die Architekten
Max u. Bruno Taut, Karl Bonatz, Bruno Möhring, John Martens, der Architekt und Kritiker Adolph
Behne, die Schriftsteller Emil Ludwig, alias Cohn und Hans Kaiser [später Mitbegründer der Kestner
-Gesellschaft], die Maler Max Beckmann und Franz Mutzenbecher), begründet der auch Kontakte zum bisher
unerforschten Werkring (Mitglieder u.a. Bruno Möhring, Alfred Grenander, Curt Stoeving, Walter
Leistikow, Theo Schmuz-Baudiss) pflegte. In Chorin trafen sich am Wochenende, in der Gastwirtschaft
der Familie Wolgast, die Mitglieder des Freundeskreises (zwei der Wolgast-Töchter heirateten Bruno
und Max Taut eine weitere den Journalisten/Schriftsteller Hans Kaiser).
Als Architekt im Königl. Preuß. Ministerium des Inneren war John Martens 1904, zusammen mit anderen
namhaften Architekten, u.a. auch Mitgliedern des Werkrings, an der Gestaltung der Deutschen Pavillons
auf der Weltausstellung in St. Louis/USA beschäftigt.
Durch den Rixdorfer Stadtbaurat Reinhold Kiehl wurde er dann ab April 1906 als künstlerischer Leiter
in die Entwurfsabteilung des Rixdorfer Stadtbauamtes berufen, wo unter seiner Anleitung die jungen
Architekten Max und Bruno Taut sowie Ludwig Mies (ab 1920 Mies van der Rohe) ihre ersten Schritte
auf dem Gebiet des Bauentwurfs unternahmen.
Ab Oktober 1908 machte sich John Martens als Architekt und Baukeramiker in Berlin selbstständig
(enge Zusammenarbeit mit dem Reichsbankbaurat Julius Habicht, Oberbaurat Adolf Wollenberg,
Stadtbaurat Carl James Bühring, den Bauunternehmer und Architekten Arthur Vogdt, Prof. Bruno Möhring,
Prof. Wilhelm Kreis, Baurat Prof.
Paul Mebes, den Architekturbüros von Jürgensen & Bachmann sowie der Gebrüder Taut & Hoffmann).
Außerdem fungierte er für die Veltener Keramikfirmen Gebr. Stratmann (Adler AG) bis 1913 und ab 1913
für die Richard Blumenfeld AG als künstlerischer Berater. Während dieser Zeit kam es auch zu einer
fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem Bildhauer Prof. Walter Schmarje und John Martens sowie weiteren
Bildhauern, die für Fassaden Bildschmuck entwarfen.
Von 1911 bis 1914 assoziierte er mit dem Architekten Herbert Hans Ruhl in dem Atelier für Baukeramik,
Berlin-Schöneberg, Nollendorfstraße 33.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieg meldete sich John Martens als Kriegsfreiwilliger bei einem holsteinischen
Regiment in Itzehoe. Im Rahmen des Wiederaufbauprogramms Ostpreußens wurde er dann, auf Empfehlung des
Ortelsburger Bezirksarchitekten Ernst Rosswog (wie auch weitere 500 Architekten- und Bauingenieure),
vom Oberpräsidium der Provinz Ostpreußen als Architekt und Bauanwalt in Ortelsburg. Kreis Allenstein i.
Pr. dienstverpflichtet. In Ortelsburg lernte John Martens u.a. auch den dortigen Architekten August Wiegand
kennen. Für den Wiederaufbau der Ortelsburger Synagoge entwarf John Martens für die Fassade, das Hauptportal
und die Ausgestaltung des Innenraums Baukeramiken. Zu dem in Insterburg i. Pr. als stellvertr.
Bezirksarchitekten tätigen Hans Scharoun und zum Architekten und Bauanwalt Hugo Häring in Allenburg
pflegte J. Martens freundschaftliche Kontakte. Für die Deutsche Architektenschaft des B.P.A. Königsberg i. Pr.
war John Martens auch als Obmann bei Streitfällen tätig.
Folgende Bauten Entwarf John Martens für das Wiederaufbauprogramm: 1917/18 Haus Doehring. Am Markt. Ortelsburg;
1918/19 Wohnhaus Topka. Friedrichshof; 1918/19 Wohnhaus Daniel. Friedrichshof; 1919 Wohnhaus Iwanski.
Schwentainen; 1919 Wohn- und Gasthaus Rogowski, Zimmerplatz. Friedrichshof; 1919 Wohnhaus Kompa. Schwentainen.
1918/19 Wohnhaus Lange. Friedrichshof: 1919/20 Wohnhaus Strassonek. Friedrichshof; 1919/20 Mahlmühle Kompa.
Schwentainen; 1921/22 Terrakotten für die Synagoge Ortelsburg (Baufertigstellung 1924). 1920/23 Siedlung der
Königsberger Heimstättengesellschaft in Ragnit.
Auf Grund der ständigen Auseinandersetzungen mit dem Ortelsburger Bezirksarchitekten Braun, wo John Martens
durch die Königsberger Professoren Fricke und Lahrs. dem Architekten Erich Göttgen und dem B.P.A. Königsberg
bei den Streitfällen Unterstützung erhielt, verkaufte John Martens 1920 sein Architektur- und Bauanwaltsbüro
an Architektenkollegen und machte sich mit der Werkstatt für Keramik (Marke: MWK) in Ragnit. Kreis Tilsit i.
Pr. selbständig. Mit der Königsberger Akademie und Kunstgewerbeschule (dort war er 1922-23 als Lehrer für
Keramik tätig) und den Kunstgewerbeschulen in Berlin. Halle a. d. Saale und Breslau arbeitete er als Baukeramiker
zusammen. Außerdem projektierte er im Auftrage der Gemeinnützigen Ostpreußische Heimstätten GmbH Königsberg
typisierte Siedlungshäuser in Ragnit und im Kreis Ragnit. Eines der Ragniter Siedlungshäuser bezog er dann mit
seiner Ehefrau, die er am 10. Mai 1921 in Ragnit i. Pr. geheiratet hatte (die aus Schubin. Krs. Posen gebürtige
Hildegard Lendel; Tochter des Landgerichtsdirektors Geheimrat Hermann Lendel und der Anna Lendel, geb. Boehnke).
Als Hochzeitsgeschenk erhielt das junge Ehepaar von dem mit ihnen befreundeten Prof. Hans Poelzig ein von ihm
entworfenes Sofa (Quelle: laut mündlicher Auskunft von Christiane Martens. der Tochter von John und Hilde Martens).
Für den Magdeburger Stadtbaurat Bruno Taut konnte John Martens für dessen 1922 errichteten MIAMA-Bauten Kachelöfen
entwerfen und ausführen. Auf Grund des in der Provinz Ostpreußens eklatanten Baustoffmangels sah sich John Martens
gezwungen seine Keramikfabrik in Ragnit i. Pr. aufzugeben. Durch Vermittlung des B.D.A. Königsberg, dem Magdeburger
Stadtbaurat Bruno Taut, dem Geheimrat Hermann Muthesius und Edmund May von der Königsberger Kunstgewerbeschule,
konnte John Martens 1923 die Stellung als Lehrer an der Staatl. Preuß. Keramikfachschule in Bunzlau antreten.
(Informationen über John Martens Tätigkeit in Ortelsburg und Ragnit stammen zum Teil aus den Beständen des GstArch.
Bestand Ostpreußen. Oberpräsident Königsberg)
Im Herbst 1925 musste er, im Streit mit dem sehr konservativ eingestellten Direktor Puckal, der sich mit
den neuen, an den des Bauhauses angelehnten Unterrichtsmethoden und dem von Martens vertretenden neuen
expressionistischen Mal- und Gestaltungsstil nicht anfreunden konnte („Martens ist ein Anhänger des Tautismus
und Individualismus"), aus und begründete das Atelier für Baukeramik in Bunzlau, das er bis 1934 betrieb.
Dort beschäftigte er sich, in Zusammenarbeit mit der Mosaikfabrik Puhl & Wagner, Gottfried Heinersdorff und
der Dampfziegelei Herschelwaldau, Krs. Bunzlau hauptsächlich mit der Wiederbelebung der Baukeramik und der
Backsteinkunst. Außerdem war er für den Deutschen Werkbund und dem Bund Deutscher Architekten aktiv (u.a.
als Leiter des Ausstellungspavillons für Keramik auf der WuWa in Breslau). Ab 1933 erhielt John Martens
keine Aufträge mehr. Auch der Versuch, als Architekt in Vorpommern Fuß zu fassen, verlief negativ. Vollkommen
verarmt verstarb er 1936 an den Folgen eines Herzinfarkts in Demmin/Vorpommern.
|